„Fünfzig, sechzig oder siebzig Jahre – so alt sind viele Schulgebäude, in denen heute gelernt wird. Wenn wir also heute Schulen bauen oder umgestalten, dann treffen wir Festlegungen für einen sehr langen Zeitraum.“ So eröffnete Dr. Michael Retzar, Leiter der Serviceagentur Ganztägig lernen M-V, die erste Schulbau-Fachtagung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, welche die Serviceagentur, die Hochschule Wismar und das Ministerium für Bildung und Kindertagesförderung M-V im September 2023 gemeinsam ausrichteten. Im Rahmen dieser Veranstaltung trafen Schulbauträger, Architekten und pädagogische Akteure des Landes zusammen, tauschten ihre Erfahrungen aus, verfolgten zwei Tage lang Expertenvorträge und erlebten einen praxisorientierten Beteiligungsworkshop.
„Ich habe das Gefühl, das kann etwas ganz Großes werden“, befand der Rektor der Hochschule Wismar, Prof. Dr. Bodo Wiegand-Hoffmeister, bei der Eröffnung in der Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar. Es sei eine drängende Aufgabe, gemeinsam für die Verbesserung der Schullandschaft in Mecklenburg-Vorpommern einzutreten. Bildungsstaatssekretär Tom Scheidung bekräftigte, dass Lernräume so gestaltet werden sollten, dass sie Lust am Lernen wecken und die Kreativität fördern. Das Bildungsministerium unterstütze die Vernetzung aller beteiligten Akteure im Bereich Schulbau. Dr. Michael Retzar unterstrich die Perspektive der Ganztagsentwicklung: Bei anstehenden Neubau- und Sanierungsvorhaben sei unbedingt die Interaktion der Schule mit ihrem Sozialraum zu bedenken. Ebenso müssten Möglichkeiten einer gesunden Mittagsversorgung und Platz für Freizeitaktivitäten der Heranwachsenden eingeplant werden.
Prof. Oliver Hantke, Dekan der Fakultät Gestaltung, ging auf die Besonderheit dieser Tagung ein: Das Zusammentreffen von Schulträgern, Planern und Pädagogen sei eine Chance, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Er hoffe, dass die Schulbauvorhaben in Mecklenburg-Vorpommern mutige Wege beschreiten und die Beteiligten bereit seien, auch Experimente zu wagen.
"Marktplatz der Begegnung"
Vor den ersten Fachvorträgen wurde die spezielle Zusammensetzung des Tagungspublikums genutzt, um ein gegenseitiges Perspektivenverständnis zu erreichen: Die Gäste aus Schulverwaltung, Architektur und Schule konnten einander in gemischten Kurzgesprächen kennenlernen. Thomas Hetzel, Schulbauberater bei der Serviceagentur, moderierte diesen interaktiven Austausch und betonte: „Wir wollen mit dieser Veranstaltung möglichst viele verantwortliche Entscheiderinnen und Entscheider aus M-V zusammenbringen.“ Dabei zeigte sich, dass sich aktuell viele Vorhaben in der Planung oder Umsetzung befinden und daher ein Bedarf an Erfahrungsaustausch besteht. Angesichts des hohen Kostendrucks und der weitreichenden Entscheidungen, wie man in den Schulen des Landes auf lange Sicht lernen und arbeiten wird, folgten rund 160 Personen der Einladung zur Tagung.
Schulbau als Vorstufe für gesellschaftlichen Zusammenhalt
Dr. Ele Jansen ging in ihrem Vortrag darauf ein, dass wir bei unseren Schulbauvorhaben Räume schaffen sollten, die die Vorstellungskraft der Heranwachsenden anregen und Selbstständigkeit und Problemlösekompetenz fördern. Karin Doberer machte in ihrer Keynote darauf aufmerksam, dass Schulen als soziale Marktplätze aufzufassen sind. „Hier“, sagte die langjährige Schulbauberaterin, „findet gemeinsames Lernen statt und es entscheidet sich in der Schule, ob es uns gelingt, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stiften.“ Außerdem seien Schulbauten eher als „vorbereitete Lernumgebungen“ zu gestalten, mit Informationsmöglichkeiten und Arrangements für Partnerarbeit. Man müsse sie an ungleichzeitiges Lernen anpassen, denn die Bildungschancen von Fortgeschrittenen und jenen, die mehr Unterstützung benötigen, profitierten nicht von dem leider noch allzu oft angestrebten pädagogischen Gleichschritt. Moderne Schulbauten seien einladende Orte, die flächeneffizient geplant werden und alle verschiedenen Funktionszusammenhänge berücksichtigen.
Erfahrungen aus der Hamburger Schulbehörde
Schulgebäude im größeren Maßstab verantwortet Thomas Sies. Er ist Bereichsleiter der Hamburger Schulbaubehörde, die die Verantwortung für fast 3.000 Gebäude trägt. Während sich die Schulträgerschaft im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern auf eine Vielzahl an Beteiligten verteilt, steuert die Hamburger Behörde zentral alle Maßnahmen. Einige Erfahrungen aus Hamburg seien jedoch übertragbar: Man müsse der sogenannten „Phase Null“ einen größeren Stellenwert einräumen, also bereits zu Beginn der Planung die Nutzerinteressen einfließen lassen – dies schaffe eine höhere Akzeptanz und ermögliche eine pädagogisch schlüssige Schulentwicklung. Angesichts der mitunter sehr langen Nutzungszeiten von 50 bis 80 Jahren sei zudem auf eine Mehrfachnutzung der Gebäude im Sozialraum zu achten, beispielsweise als Räumlichkeit für eine Volkshochschule, als Café, Bibliothek oder Versammlungsort für Vereine. Eine Besonderheit stellt das Hamburger „Klassenhaus“ dar, ein Ansatz des modularen Bauens: Standardisierte Baueinheiten können miteinander kombiniert und bei der Innenraumgestaltung individuell angepasst werden. Die Größe der Schulgebäude ist infolge des Baukastenprinzips frei skalierbar: Ein Erschließungskern wird um jeweils 500 Quadratmeter große Abteilungen ergänzt; auch spätere Anpassungen und Erweiterungen seien dadurch mit relativ niedrigem Aufwand möglich.
Brandschutz, Raumkonzepte und Nachhaltigkeit
Der Wismarer Professor Martin Wollensak ging in seinem Parallelvortrag auf Aspekte des nachhaltigen Bauens ein, insbesondere auf die Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Dabei beantwortete er auch die Frage aus dem Publikum, ob es bei der Umgestaltung eines Schulbaus sinnvoller erscheint, im Bestand zu sanieren oder das Gebäude abzureißen und neu zu errichten. „Im Bestand zu sanieren ist in den meisten Fällen cleverer als neu bauen“, erklärte Wollensak. „Vor allem auch in Bezug auf die CO2-Bilanz des Bauprojekts.“ Auch der Brandschutzexperte Andreas Flock betonte in seinem Fachvortrag, dass man die Möglichkeiten der bereits vorhandenen Bauten voll ausschöpfen sollte. Jeder Schulleitung riet er, sich den Wortlaut der jeweiligen Baugenehmigung genau anzusehen, um festzustellen, welche Maßnahmen bereits abgedeckt sind und nicht erst noch beantragt werden müssen. Die Hamburger Architektin Nathalie Dudda und der Schulberater Egon Tegge stellten in ihrem Fachforum das Konzept der offenen Lernlandschaften vor, welche schon im Bereich der Grundschule einsetzbar sind. Einen Teil dieser Lernlandschaften bilden zum Beispiel Rückzugsmöglichkeiten für die Schüler, u. a. in Form von (Lese-)Kojen. Die große Bedeutung solcher Rückzugsorte im Lernraum unterstrich auch die Schulentwicklungsbegleiterin Dr. Petra Moog in ihrem Vortrag zum Thema „Architektur und Raumnutzung für den Ganztag“. Sie fasste die Aufgabe pädagogischer Raumgestaltung folgendermaßen zusammen: „Eine gute Schule ist ein Ort des Aktiv- und Kreativseins; ein Ort, wo die Kinder und Jugendlichen einfach sie selbst sein dürfen.“
Gelingender Schulbau - (k)eine Frage des Geldes?
Betrachtet man beim Schulbau nicht nur die erstmalige Investition, sondern kalkuliert die langfristigen Kosten für Instandhaltung und den Austausch von Einrichtungsgegenständen mit ein, so zeigt sich, dass eine vermeintlich billigere Erstinvestition auf lange Sicht nicht immer kostengünstiger ist. Auf diese Erfahrung machte Thomas Sies im Podiumsgespräch aufmerksam. Christoph Meyn, Präsident der Landesarchitektenkammer, stellte fest, dass Bauträger meist die Frage stellen: „Wann ist das Gebäude fertig und wie viel kostet es?“ Dass ein Gebäude praktisch niemals fertig sei, darauf verwies auch Karin Doberer. Im Idealfall würden die Nutzungskonzepte vorab mit den späteren Nutzern abgesprochen, aber es komme immer wieder zu Funktionsveränderungen. Und wenn die Schulleitung wechselt, erfolgen oft nicht nur pädagogische Änderungen, sondern auch entsprechende bauliche Anpassungen.
Nils Kleemann, Gründer und Leiter der Greifswalder Montessori-Schule, forderte, dass sich die Schulbauten an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientieren. Doch heutzutage richte sich das Lernen leider noch zu einem großen Teil an sachfremden baulichen Entscheidungen aus. Auch Christoph Meyn beobachtet, dass Beteiligungsprozesse im Kontext Schulbau in M-V zurzeit noch zu selten stattfinden. Stadtstaaten wie Hamburg gelänge dies möglicherweise besser, weil die zentralen politischen Entscheider häufiger Schulbauten verantworten.
Beteiligung als Schlüssel für gelungene Schulbauten
Der zweite Tag der Fachtagung stand ganz im Zeichen der Partizipation. In ihrem Einführungsvortrag erläuterten die Schulentwicklungsbegleiterin Dr. Petra Moog und der niederländische Schulbauberater Teun van Wijk die Bedeutung frühzeitiger Beteiligungsprozesse, u. a. am Beispiel des Wim-Wenders-Gymnasiums in Düsseldorf. Die beiden Experten stellten die etablierte Methode des „Prisma-Tischs“ vor, welche als Großgruppen-Workshop durchgeführt wird. Anschließend konnten die Tagungsteilnehmenden selbst einen solchen Workshop belegen und die Methode dadurch intensiv kennenlernen. Die Grundidee des „Prisma-Tischs“ ist, alle Stimmen aktiv in eine gemeinsame Lösungsfindung einzubeziehen, auch skeptische und ablehnende. Beteiligungsprozesse seien nur dann effektiv, wenn sich jeder darin wiederfinde. An den Thementischen, die jeweils spezifische Fragestellungen bearbeiten, sollten daher immer Personen mit unterschiedlichen Sichtweisen vertreten sein. Das Veranstalter-Team hofft, dass diese effiziente Form der Partizipation bei zukünftigen Bauvorhaben im Land Berücksichtigung findet.
Perspektiven
In vier Groß- und 24 Kleingruppen erarbeiteten Architekten, Schulbauplaner und Pädagogen die ihrer Ansicht nach notwendigen Rahmenbedingungen für guten Schulbau in Mecklenburg-Vorpommern. Die Thementische befassten sich mit nachhaltigem Schulbau, der Schule im Sozialraum, kosteneffizienten Prozessen und der pädagogischen Raumgestaltung. Mithilfe von „Bausteinen“ aus Pappkartons wurden die Tagungsergebnisse gebündelt. Dabei wurde deutlich, dass ein breiter Wunsch nach experimentellen architektonischen Lösungen für Schule, Hort und Ganztag besteht. Insbesondere der Nachhaltigkeitsgedanke müsse hierbei stärker ins Bewusstsein rücken, wie auch die Einsicht, dass Schulen soziale Marktplätze sind, die durch die Begegnungen und Interaktionen verschiedener Milieus den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken können. Die Tagungsteilnehmer betonten außerdem, dass die Lernräume ein ungleichzeitiges, eigenverantwortliches, soziales und flexibles Lernen ermöglichen sollten. Es gelte, durch die Gestaltung von Raum und Pädagogik jene Kompetenzen zu fördern, die in der Arbeitswelt und dem gesellschaftlichen Leben der nächsten Jahrzehnte wichtig sind. In diesem Zusammenhang seien gut geregelte, praktikable und transparente Beteiligungsverfahren (Phase 0 bis 10) unerlässlich. In Bezug auf die Kostenfrage forderten die Teilnehmenden, stets auch die Folgekosten für mehrere Jahrzehnte Bewirtschaftung im Blick zu behalten und deshalb auf hohe Qualität zu setzen. Und nicht zuletzt müsse eine Mehrfachnutzung eingeplant werden, da Schulen auch einen Servicecharakter für ihre direkte Umgebung und Nachbarschaft haben.
Fazit und Ausblick
Die Serviceagentur Ganztägig lernen M-V wird dem Thema Schulbau in unserem Bundesland weiterhin große Bedeutung beimessen. So werden die Tagungsorganisatoren die gewonnenen Ergebnisse und Sichtweisen in die Weiterentwicklung der Schullandschaft einbringen. Darüber hinaus führte die Serviceagentur bereits am 23. November 2023 die nächste Veranstaltung im Bereich „Zeitgemäße Lernumgebungen“ durch: Bei einem Tag der Offenen Tür stellte die Regionale Schule Lübstorf die Optimierung ihrer Ausstattung und die Nutzung eines Clusteranbaus vor. Seit 2019 vernetzt die Serviceagentur Schulen in ganz Mecklenburg-Vorpommern, die ihre Raum-Pädagogik-Konzepte weiterentwickeln möchten. Weitere Schulen sind herzlich eingeladen, in diesem Netzwerk mitzuwirken. Hier können Sie Kontakt zu uns aufnehmen.